Interview mit Andreas Schmitz, Resilienzmanager KRITIS bei LivEye, über das Undenkbare – und warum wir es dennoch denken müssen
Andreas, Du beschäftigst dich beruflich mit der Frage, was passiert, wenn Systeme versagen. Wie realistisch ist ein flächendeckender Stromausfall in Deutschland?
Die Wahrscheinlichkeit eines kompletten Blackouts ist gering – aber eben nicht null. Auch steigt die Wahrscheinlichkeit von Frequenzschwankungen durch volatiles Einspeiseverhalten massiv an. Und genau deshalb ist Vorbereitung so wichtig. In der Resilienzplanung geht es nicht nur um ob, sondern um was wäre wenn. Die Realität zeigt: Technische Defekte, Cyberangriffe, Naturkatastrophen – all das kann dazu führen, dass ganze Regionen ohne Strom sind. Und zwar länger als nur ein paar Stunden.
Wie würde ein solcher Ausfall konkret ablaufen?
Die Auswirkungen sind massiv – und sie folgen einem dramatischen Zeitplan. In den ersten Stunden merken viele Menschen noch gar nicht, wie weitreichend die Konsequenzen sind.
0–12 Stunden:
Wasserdruck fällt ab, erste Pumpwerke stellen den Betrieb ein. Besonders höher gelegene Gebäude verlieren schnell die Wasserversorgung. Erste Kläranlagen stoppen.
12–24 Stunden:
Kein fließendes Wasser mehr. In Krankenhäusern, Pflegeheimen und Privathaushalten entstehen erste Hygieneprobleme.
24–36 Stunden:
Jetzt wird es ernst:
- Trinkwasserversorgung ist nahezu zusammengebrochen
- Kühlketten versagen, Lebensmittel verderben
- Seniorenheime ohne Heizung, Licht oder medizinische Versorgung
- Tankstellen pumpen kein Benzin mehr
- Polizei im Dauereinsatz, erste Unruhen in Städten
- Kommunikationsnetze brechen zusammen
- Beatmungspatienten – z. T. in häuslicher Pflege – sind akut gefährdet
Was bedeutet das für unsere Gesellschaft?
Es ist mehr als nur ein Stromausfall – es ist eine Systemkrise. Ein Blackout ist das einzige Großschadensszenario, das sich mit fortschreitender Zeit nicht entschärft, sondern eskaliert. Wenn kritische Infrastrukturen wie Wasser, Energie oder Kommunikation wegbrechen, geraten wir in einen Dominoeffekt. Ohne Bargeldversorgung, ohne digitale Kommunikation, ohne Verkehr – das gesellschaftliche Leben steht still. Produktionsbetriebe können nicht arbeiten, Lieferketten reißen ab, Panikkäufe beginnen. Und schlimmer noch: Menschenleben stehen auf dem Spiel.
Hast Du ein konkretes Beispiele?
Leider ja. Wir sprechen da nicht über Theorie.
- 2025 in Spanien starben 4 Menschen, 3 davon durch CO-Vergiftung, weil Notstromaggregate unsachgemäß betrieben wurden
- 2021 in den Niederlanden starben zwei COVID-19-Patienten, weil die Stromversorgung in einer Klinik versagte
- Auch in Deutschland gab es bereits Todesfälle, z. B. 2013 in einer Klinik
Diese tragischen Fälle zeigen: Resilienz rettet Leben.
Was bedeutet Resilienz in diesem Zusammenhang?
Resilienz heißt, vorbereitet zu sein. Es bedeutet, Redundanzen zu schaffen – technologische, strukturelle und organisatorische. In der Sprache der Sicherheitsplanung sprechen wir vom All-Gefahren-Ansatz. Ziel ist es, Systeme so aufzustellen, dass sie im Krisenfall weiterlaufen können – zumindest auf einem Notniveau.
Welche Rolle spielt Technologie dabei?
Eine entscheidende. Wir bei LivEye setzen gezielt auf Technologien zur dezentralen Sicherheitsüberwachung – auch und gerade in Krisenszenarien. Mobile Videoüberwachung, energieautarke Systeme, redundante Kommunikationslösungen: All das trägt dazu bei, die Lücke zu schließen, wenn die reguläre Infrastruktur versagt.
Wir nutzen Technologien, um Resilienz sichtbar, steuerbar und skalierbar zu machen.
Was fordern Sie von Entscheidern – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft?
Handeln: Beherzt und Jetzt.
Ein Blackout ist keine Science-Fiction. Es ist eine Frage der Zeit, bis ein Teil Europas davon betroffen sein wird. Und dann zählt jede Vorbereitung.
Wir brauchen Investitionen in technische Resilienz – in Energie, Wasser, Kommunikation.
Wir brauchen Schulungen, realistische Planspiele und regelmäßige Tests von Notfallmechanismen.
Und wir brauchen Aufklärung:
„Sei gut vorbereitet – es kommt schlimmer, als du denkst.“
Dieses Zitat von Albrecht Broemme bringt es auf den Punkt.