Ein Gespräch mit Carsten Baeck, Vorstandsmitglied im ASW-Bundesverband, über Bedrohungen, Resilienz und die Rolle von Technologie
Als aktives Mitglied im ASW-Bundesverband sprach LivEye mit Carsten Baeck über die aktuelle Sicherheitslage, neue Herausforderungen und den Wandel in der Sicherheitsbranche.
Herr Baeck, erzählen Sie uns bitte zum Einstieg kurz und wie Sie zur Sicherheitsbranche gekommen sind.
Ich bin seit rund 25 Jahren im Bundesvorstand des ASW-Bundesverbands tätig – mit einer kurzen Unterbrechung. Aktuell bin ich Vizepräsident des VSW Berlin-Brandenburg, einem der regionalen Verbände innerhalb des Bundesverbands. Beruflich leite ich als Geschäftsführer die Deutsche Risikoberatung GmbH. Wir unterstützen große Konzerne – darunter auch DAX-Unternehmen – im Bereich Risikoanalyse, Krisenmanagement und Schutz kritischer Infrastruktur. Unsere Kunden reichen von der Industrie bis zur Luft- und Raumfahrt.

Ich bin also seit Jahrzehnten in der Praxis wie auch strategisch mit Sicherheitsfragen befasst. Und das nicht nur theoretisch: Bei Großveranstaltungen wie der ILA bin ich beispielsweise als Sicherheitschef im Einsatz – das verbindet operative Erfahrung mit strategischer Planung. Im Verband bringen wir diese Perspektive gezielt in den Austausch mit Wirtschaft, Behörden und Politik ein.
Wie hat sich Ihrer Erfahrung nach die Bedrohungslage für Unternehmen in den letzten Jahren verändert – gerade im Hinblick auf Baustellen, Firmengelände und Industrieanlagen?
Klassische Eigentumsdelikte wie Diebstahl und Vandalismus nehmen auf Baustellen, Firmengeländen und in Industrieanlagen weiter zu: Allein auf deutschen Baustellen entstehen jährlich Schäden in Höhe von rund 80 Millionen Euro. Laut Branchenumfragen berichten 64 % der Bauleiter von einer Zunahme der Diebstähle – oftmals begleitet von gezieltem Vandalismus, massiven Projektverzögerungen und wirtschaftlichen Folgeschäden.
Was sich verändert hat, ist das Täterprofil: Heute agieren immer häufiger professionell organisierte Banden, die technologische Mittel wie Drohnen und soziale Netzwerke systematisch zur Ausspähung nutzen. Die Qualität und Koordination dieser Angriffe sind deutlich gestiegen.
Gleichzeitig wächst die Bedrohung durch hybride Risiken. Die Verschmelzung physischer Angriffe mit digitalen Attacken – etwa Cyberangriffe kombiniert mit Sabotage oder Spionage – betrifft vor allem kritische Infrastrukturen wie Energieversorgung, Chemieanlagen und Rüstungsunternehmen. Nachrichtendienste aus Drittstaaten nehmen gezielt deutsche Unternehmen ins Visier. Dabei zeigen sich die Grenzen herkömmlicher Sicherheitssysteme: Immer wieder werden Drohnen in sensiblen Bereichen gesichtet – doch es mangelt an belastbaren Beweisen und zuverlässiger technischer Erfassung.
Die Konsequenz: Unternehmen müssen ihre Sicherheitsarchitektur grundlegend überdenken. Physische, digitale und personelle Schutzmaßnahmen dürfen nicht länger isoliert betrachtet werden – sie müssen systematisch vernetzt und strategisch ausgebaut werden. Nur durch ganzheitliche Sicherheitskonzepte und Investitionen in Prävention und Resilienz lassen sich Risiken künftig wirkungsvoll beherrschen.
Der ASW-Bundesverband versteht sich als Stimme der Wirtschaft in Sicherheitsfragen. Welche Themen stehen bei Ihren Mitgliedern aktuell besonders im Fokus?
Ich würde die wichtigsten Themen in fünf Schwerpunkte unterteilen:
1. Cyber- und Informationssicherheit:
Cyberangriffe sind derzeit die größte Bedrohung für Unternehmen – das zeigen auch Studien wie der Allianz Risk Barometer. Ransomware, Spoofing, Lieferketten-Angriffe und Know-how-Abfluss nehmen zu, oft verbunden mit gezielter Manipulation oder Ausspähung über Dritte. IT-Sicherheit darf deshalb kein IT-Thema bleiben – sie gehört strategisch in alle Geschäftsprozesse eingebettet.
2. Wirtschaftsspionage und Sabotage:
Wir sehen eine klare Verschiebung: Wirtschaftsspionage geht immer häufiger in gezielte Sabotage über – etwa durch eingeschleuste Schadsoftware oder physische Eingriffe in sensible Infrastrukturen. Besonders betroffen sind High-Tech-Unternehmen und kritische Bereiche wie Energie oder Rüstung. Hier braucht es deutlich stärkeren Schutz – technisch, organisatorisch und personell.
3. Eigentums- und Vandalismusschäden:
Diese nehmen auf Baustellen, an Logistikzentren und Energieanlagen deutlich zu. Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesellschaftliche Folgen, etwa durch Verzögerungen bei Wohnungs- oder Infrastrukturprojekten.
4. Ganzheitliche Resilienz:
Notfall- und Kontinuitätsmanagement – also die Fähigkeit, nach einem Vorfall rasch wieder handlungsfähig zu sein – war in Deutschland lange ein vernachlässigtes Thema. Inzwischen sehen wir ein deutliches Umdenken. Dazu gehören nicht nur klare Notfall- und Wiederanlaufpläne, sondern auch die Diversifikation von Lieferanten, Energie-Back-ups und organisatorische Resilienzmaßnahmen über alle Geschäftsbereiche hinweg.
5. DSGVO-konformer Technologieeinsatz & rechtliche Rahmenbedingungen:
Die Datenschutzgrundverordnung ist zweifellos wichtig – aber ihre Anwendung wird in Deutschland oft so streng ausgelegt, dass sie die praktische Sicherheitsarbeit behindert. Das sehen wir etwa bei Videoüberwachung, Zutrittsbiometrie oder der Detektion von Drohnen. In kaum einem anderen EU-Land wird Datenschutz so restriktiv interpretiert wie hier. Dabei braucht es ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Datenschutz und dem legitimen Schutzbedarf von Unternehmen – gerade bei kritischen Infrastrukturen.
Kritische Infrastrukturen stehen unter Druck – rechtlich und technisch. Was muss aus Ihrer Sicht zusätzlich passieren?
Die neuen Regelwerke wie das KRITIS-Dachgesetz oder die CER- und NIS2-Richtlinien gehen in die richtige Richtung. Was fehlt, ist ihre praxisnahe Umsetzung – oft sind sie zu bürokratisch. Wir brauchen klare, anwendbare Leitfäden und Standards, die in der Breite greifen. Technologisch sehen wir großes Potenzial in intelligenter Sensorik, KI, Drohnentechnik und Redundanzen bei Energie- und Kommunikationsinfrastruktur.
Welche Rolle spielt moderne Videoüberwachung heute in einem Sicherheitskonzept?
Moderne Videoüberwachung ist heute ein intelligenter, multifunktionaler Sensor im Sicherheitsmix – weit mehr als nur ein Kameraauge. Sie wirkt präventiv, weil sichtbare Systeme potenzielle Täter abschrecken und Tatgelegenheiten verringern. Gleichzeitig ermöglicht KI-gestützte Videotechnik eine präzise Echtzeit-Detektion: Personen oder Fahrzeuge werden automatisch erkannt und klassifiziert, Fehlalarme reduziert. Im Ernstfall liefert sie gerichtsverwertbare Beweismittel für die forensische Aufarbeitung.
Besonders effektiv wird Videoüberwachung durch die Integration mit Zutrittskontrollen, Perimetersensorik und Alarmtechnik – das schafft durchgängige Sicherheitsprozesse. Cloud- und Remote-Lösungen ermöglichen standortübergreifendes Management, automatische Updates und flexible Speicherlösungen – auch für kleinere Unternehmen.
Ein Blick nach vorn: Zwischen 2025 und 2027 erwarten wir den verstärkten Einsatz von Edge-KI für schnellere Auswertung direkt am Gerät, mehr Datenschutz durch „Privacy by Design“ (z. B. Maskierung, rollenbasierte Zugriffe), sowie Thermalkameras, Radarsensoren und modulare Video-Tower für temporäre Einsatzorte wie Baustellen.
Viele Unternehmen setzen bei der Videoüberwachung auf Do-it-yourself-Lösungen – andere lagern Sicherheitsprozesse an externe Leitstellen aus. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen, und wo sehen Sie Chancen oder Risiken?
Do-it-yourself-Lösungen in der Videoüberwachung sehe ich sehr kritisch. Sie wirken auf den ersten Blick günstig und einfach – bringen aber erhebliche Risiken mit sich. Schon kleine Fehler, etwa das Mitfilmen öffentlicher Bereiche oder zu lange Speicherfristen, können klare Verstöße gegen die DSGVO darstellen und Bußgelder nach sich ziehen. Auch technisch gibt es häufig Mängel: falsch ausgerichtete Kameras, schlechte Beleuchtung, fehlende Wartung oder veraltete Software – alles potenzielle Schwachstellen, die sogar IT-Angriffe begünstigen können.
Dazu kommt: Ohne Alarmkette bleibt eine Kamera oft ein reiner Beobachter. Es wird zwar aufgezeichnet, aber niemand greift ein – echte Sicherheit sieht anders aus. Noch problematischer wird es, wenn die Systeme organisatorisch nicht eingebettet sind: Ohne klare Prozesse, geschultes Personal und Notfallabläufe entsteht schnell eine trügerische Sicherheit.
Deshalb plädiere ich für professionelle Lösungen. Externe Anbieter kombinieren intelligente Videoanalyse mit 24/7-Leitstellen, Notruf- und Servicezentralen oder Interventionsdiensten. Das bringt klare Vorteile: Unternehmen werden operativ entlastet, profitieren von technischem Know-how und erhalten zuverlässige Reaktionszeiten – mit dokumentierten Abläufen und niedriger Fehlalarmquote.
Wichtig ist dabei: Die Verantwortung bleibt beim Unternehmen. Ein interner Sicherheitsbeauftragter sollte als Schnittstelle zur Leitstelle fungieren und die Gesamtstrategie steuern.
Fachkräftemangel ist auch in der Sicherheitsbranche ein Thema. Wie kann Technik hier helfen?
Auch die Sicherheitsbranche spürt den Fachkräftemangel – und genau hier kann Technik gezielt entlasten. KI-gestützte Videoanalytik filtert Routinebilder und lenkt die Aufmerksamkeit auf relevante Ereignisse, sodass ein Operator viele Kameras gleichzeitig überwachen kann. Cloud-Dashboards ermöglichen Remote-Wartung, Updates und Störungsbehebung aus der Ferne. Autonome Roboter und Drohnen übernehmen Patrouillen auf großen Arealen und entlasten das Personal zusätzlich. Intuitive Bedienoberflächen sorgen dafür, dass auch weniger spezialisierte Kräfte eingesetzt werden können – während Fachkräfte sich auf komplexe Aufgaben wie Analysen oder Krisenmanagement konzentrieren.
Letztlich braucht es ein Umdenken: Der Mensch wird zunehmend zum Koordinator intelligenter Systeme – darauf müssen Aus- und Weiterbildungen ausgerichtet sein.
Welchen konkreten Nutzen ziehen Sie aus Fachveranstaltungen und Foren – insbesondere im Hinblick auf den Austausch und die Entwicklung praxisnaher Lösungen?
Fachveranstaltungen und Foren bieten für uns einen erheblichen praktischen Nutzen – insbesondere durch den intensiven Austausch mit Expertinnen und Experten sowie die gemeinsame Entwicklung praxisnaher Lösungen. Unsere Kompetenzzentren greifen das Feedback aus diesen Formaten auf und entwickeln daraus konkrete Hilfestellungen wie Checklisten, Handreichungen und Positionspapiere. Der vertrauliche Austausch, etwa zu sensiblen Themen wie Cybersicherheit, schafft Raum für offene Diskussionen und fördert innovative Ansätze. Diese Foren fungieren als Thinktanks, bündeln wertvolles Wissen und geben Unternehmen gezielte Orientierung. Die durchweg positive Resonanz und der spürbar hohe Bedarf an Know-how bestätigen den Mehrwert solcher Veranstaltungen.
Wie wichtig sind Kooperationen zwischen Wirtschaft, Behörden und Sicherheitsanbietern?
Diese Kooperationen sind heute unerlässlich. Kein Akteur kann die komplexe Bedrohungslage allein bewältigen. Ein gutes Beispiel ist unsere jährliche Sicherheitstagung mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz: Über 200 Teilnehmende aus Unternehmen, Behörden und Sicherheitskreisen kommen hier zusammen, um sich auszutauschen – über Frühwarnsysteme, Best Practices oder gemeinsame Leitfäden etwa zum Schutz vor Wirtschaftsspionage.
Solche Partnerschaften haben ganz konkreten Praxisnutzen: schnellere Alarmierung bei Spionageverdacht oder Sabotage, Zugriff auf behördliche Lagebilder, digitale Schulungsangebote oder vertrauensvolle Netzwerke für Krisen – etwa bei IT-Ausfällen, Strommangellagen oder Störungen in der Lieferkette.
Was allerdings noch ausbaufähig ist, ist die bidirektionale Kommunikation: Unternehmen melden Vorfälle, bekommen aber oft kein Feedback. Wir brauchen sichere, praktikable Wege, wie auch sensible Informationen – etwa an die Bundeswehr – vertraulich weitergegeben werden können. Hier liegt noch Potenzial.
Welche politischen Rahmenbedingungen wünschen Sie sich?
Wir brauchen dringend bessere politische Rahmenbedingungen für den Wirtschaftsschutz – gerade angesichts der aktuellen Bedrohungslage. Aus Sicht unseres Verbands fordern wir fünf zentrale Maßnahmen:
- Wirtschaftsschutz strategisch verankern – idealerweise durch einen Bundesbeauftragten mit ressortübergreifender Zuständigkeit und eigenem Budget. Gleichzeitig brauchen Sicherheitsbehörden mehr Ressourcen, um der Dynamik hybrider Bedrohungen gerecht zu werden.
- Cyber-Resilienz fördern – durch verbindliches Schwachstellenmanagement, Herstellerhaftung für unsichere IT-Produkte und den Einsatz vertrauenswürdiger Komponenten in KRITIS. Es mangelt noch immer an Standards, Mitteln und Awareness.
- Know-how-Schutz verbessern – geistiges Eigentum muss besser vor unerwünschtem Zugriff geschützt werden, etwa durch klarere Regeln in Genehmigungs- und Beteiligungsverfahren sowie ein strengeres Investitionsscreening.
- Praxisnahe DSGVO-Leitfäden – Unternehmen brauchen konkrete, branchenspezifische Handlungshilfen für den rechtssicheren Einsatz von Videoüberwachung, Tracking und KI – nicht nur abstrakte Gesetzestexte.
- Förderung qualifizierter Sicherheitswirtschaft – durch Anreize für Zertifizierungen, offene Beschaffungsstandards und gezielte Unterstützung von Aus- und Weiterbildung. So kann Fachkompetenz langfristig gesichert werden.
Zum Abschluss: Welchen Tipp geben Sie Unternehmen, die sich erstmals mit dem Thema Sicherheit beschäftigen?
Unternehmen, die sich erstmals mit dem Thema Sicherheit beschäftigen, sollten strukturiert vorgehen: Analysieren – Priorisieren – Umsetzen.
Die Basis ist ein professionelles Risiko-Assessment – also eine systematische Analyse von Assets, Bedrohungen und Schwachstellen. Daraus entsteht ein ganzheitliches Sicherheitsdesign, das Organisation, Technik und Personal sinnvoll kombiniert. Maßnahmen sollten dabei nach Schadenspotenzial und Eintrittswahrscheinlichkeit gestaffelt werden.
Bei der Umsetzung zählt: Quick Wins zuerst – also pragmatische, schnell umsetzbare Maßnahmen wie mobile Video-Tower in kritischen Projektphasen. Gleichzeitig gilt es, interne Leitlinien und Schulungen aufzubauen.
Ganz entscheidend: Sicherheit ist Chefsache. Es braucht klare Zuständigkeiten, Budget und regelmäßige Reviews – verankert in der Unternehmensführung. Und nicht zuletzt: Nutzen Sie Netzwerke – etwa Arbeitskreise der ASW, behördliche Beratungsangebote oder den Austausch mit Branchenkollegen. Sicherheit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess.
Zusammenfassend wächst die Bedrohungslage wächst in Breite und Tiefe. Moderne Videoüberwachung mit KI, eingebettet in ein professionell organisiertes Sicherheitsökosystem und flankiert von belastbaren Kooperationen, ist ein zentraler Baustein, um wirtschaftliche Werte in Deutschland nachhaltig zu schützen.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Baeck.